Schlappe für die Musikindustrie: Eltern müssen für den illegalen Musiktausch eines minderjährigen Kindes grundsätzlich nicht haften, wenn sie das Kind ausreichend über das Verbot einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehrt haben (AZ: I ZR 74/12). Dies entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Donnerstag in Karlsruhe . Der BGH hob damit ein gegenteilig lautendes Urteil des OLG Köln aus dem März 2012 auf, die anhängige Klage der Musikfirmen wurde abgewiesen. Das Urteil könnte den Ausgang von vielen Filesharing-Verfahren maßgeblich beeinflussen.
Besserer Empfang für Ihr WLAN
Dies gilt allerdings nur unter Bedingungen: Eltern müssen ihre Kinder zuvor belehrt haben, dass die Teilnahme an sogenannten Tauschbörsen rechtswidrig ist und sie dürfen keinen konkreten Verdacht haben, dass ihr Kind das Verbot ignoriert. Das Erlernen des Umgangs mit dem Internet gehört nach Auffassung des BGH zur Erziehung.
"Es ist selbstverständlich, dass Kinder in diesem Alter über einen Computer verfügen und dass sie bei der Nutzung nicht ständig unter Aufsicht sind", sagte der Vorsitzende Richter Joachim Bornkamm. Eltern müssten ihre Kinder darüber belehren, das der Tausch von Musik oder sonstigen geschützten Werken illegal sei. "Aber sie müssen ihren Kindern nicht von vornherein mit Misstrauen begegnen und vermuten, dass sie trotzdem Rechtsverletzungen begehen", sagte Bornkamm.
BGH watscht beliebten Filesharing-Dienst ab
Eltern müssen nicht sperren
"Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internet durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht", so die Richter. Zu derartigen Maßnahmen seien sie nur dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass ihr Kind den Internetanschluss für Rechtsverletzungen nutzt – etwa aufgrund einer Abmahnung
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßte die Entscheidung. Die Justizministerin sagte dem "Münchner Merkur" (Freitagausgabe): "Eltern haften nicht unbegrenzt für ihre Kinder - das gilt an Baustellen und auch im Internet. Die Entscheidung unterstreicht: Man muss nicht alles überwachen, was man überwachen kann." Weiter erklärte sie, Eltern müssten "einem 13-jährigen Kind nicht hinterher spionieren". Eltern müssten ihr Kind belehren, dürften ihm aber auch vertrauen. Ein Computer sei heute ein wichtiger Rückzugsraum, gerade für Kinder und Jugendliche.
13-Jähriger klaute Musik
Der Fall: Ein damals 13-jähriger Arztsohn hatte am Computer eine Tauschsoftware installiert, Musik heruntergeladen und sie im Internet angeboten. Dieses sogenannte Filesharing gilt als Urheberrechtsverletzung . Die Musikfirma EMI und andere kamen ihm auf die Schliche, schickten ihm Ermittler auf den Hals, die das Haus der Familie durchsuchten und den PC einkassierten. Die Firmen werfen dem Jungen vor, über sieben Monate 1147 Audiodateien mit Musiktiteln zugänglich gemacht zu haben. Sie verklagten die Eltern für 15 Songs auf Schadenersatz in Höhe von 3000 Euro. Die Eltern hatten den Jungen vorher ermahnt, so etwas nicht zu tun und sogar eine Schutzsoftware auf dem PC ihres Sohnes installieren lassen.
"Realitätsfremder Rechtsprechung ein Riegel vorgeschoben"
Das OLG Köln als Vorinstanz hatte hingegen sehr strenge Anforderungen an die Eltern gestellt und unter anderem verlangt, dass sie regelmäßig den Computer auf installierte Filesharing-Programme überprüfen müssten. Der Entscheidung des OLG habe ein "Idealelternpaar" Modell gestanden, das "mit allen Wassern gewaschen" sei und sich am Computer ebenso auskenne wie im Urheberrecht. "Dieser ausufernden und realitätsfremden Rechtsprechung wurde nun glücklicherweise ein Riegel vorgeschoben", kommentierte der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke, der das Verfahren für die beklagten Eltern geführt hatte.
Anwalt: Früher hat auch eine Ohrfeige nicht geschadet
In der Revisionsverhandlung war zwischen den Anwälten ein heftiger Streit nicht nur über die juristischen Belange, sondern auch über Kindererziehung entbrannt. Der Anwalt der beklagten Eltern, Herbert Geisler, sagte, Eltern dürften "keine Atmosphäre des Misstrauens" schaffen. Es sei wichtig, dass sich ein Kind zu einem selbstständigen und verantwortungsvollen Menschen entwickele.
Der Anwalt der Musikkonzerne, Hermann Büttner, hielt entgegen, er habe manchmal den Eindruck, dass "für viele Eltern Erziehung ein Fremdwort geworden ist". Man könne nicht einfach sagen, man dürfe keine Atmosphäre des Misstrauens schaffen, damit sich das Kind gut entwickle. Es sei wichtig, dass Eltern sich mit ihrem Kind deutlich besprechen würden und ihnen "Grenzen und Gefahren" aufzeigten. Bei Grenzüberschreitungen des Kindes sei man früher noch ganz anders vorgegangen. "Da hat auch mal eine Ohrfeige nicht geschadet", sagte Büttner.
Was kostet Musik?
Weil das Urteil des OLG mit dem Entscheid des BGH damit insgesamt aufgehoben wurde, bleibt weiter offen, wie viel Schadenersatz Musik-Konzerne für solche Urheberrechtsverletzungen grundsätzlich fordern dürfen. Im vorliegenden Fall wollten die Kläger jeweils 200 Euro Schadenersatz pro Titel. Das Landgericht Hamburg hatte in einem ähnlichen Fall nur 15 Euro zugestanden.